„Die Schneider-Töchter“


Von der Fahrrad-Einbahnstrecke, der Zeit des Lernens und einem eigenständigen Leben. Julia, Belinda und Eva Schneider in der neuen Podcast-Folge INELOSO.

Belinda, Eva und Julia Schneider bei den Aufnahmen zum INELOSO-Podcast in der bühne 68.

Drei Damen trifft Johannes Schmidle im Salontheater der bühne 68. Als die Nummern 1, 3 und 5 waren sie angekündigt, das entspricht der Reihenfolge der Geburt nach: von Julia (Nr.1) als der Ältesten der fünf Schneider Töchter, die mit Belinda (Nr. 3) und Eva (Nr. 5) zur Podcast- Aufnahme gekommen ist.

 

Sie wohnen in Lauterach sowie knapp hinter der Grenze in Hard und sie sind durch ihren Vater, der aus dem ehemaligen Gasthaus Bären stammte, in Lauterach verwurzelt. Ihre Mutter, eine Wolfurterin, rückt in diesem Gespräch mehrfach in den Vordergrund, weil sie ihren Töchtern als eine starke Persönlichkeit in Erinnerung ist. Sie habe ihnen etwas zugetraut und „die Mama hat für uns gekämpft“.

 

Dazu muss man wissen, dass vier der fünf Schneider Töchter an den Folgen einer „Retinitis pigmentosa“, einer unheilbaren Erbkrankheit der Netzhaut, erkrankt und im Erwachsenenalter erblindet sind. Sie kamen mit einer starken Sehbeeinträchtigung zur Welt. Unvergessen sind ihnen die Einbahn-Radrennen rings um ihr Elternhaus. Seien sehende Spielkameraden dazu gekommen, die in die Gegenrichtung gefahren sind, habe dies nicht selten zu „Unfällen“ geführt.


„Wir 5 haben uns immer gut verstanden und das ist immer noch so.“

 

Dipl.-Wi-Ing., MSc. Julia Schneider

 

Hochschullehrerin an der FHV für Prozess- und Innovationsmanagement und Beauftragte für  Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankungen an der FHV


Es waren teilweise auch bittere Erfahrungen, die die Schneiders von ihrer Kindheit schildern. Unvergessen ist Julia die Nachfrage des Volksschuldirektors bei der Mutter, ob dieses Mädchen mit ihrer schweren Brille und den dicken Augengläsern, die bei der Einschulung mit dabei war, „scho ghörig im Kopf“ sei. Eine Frage, die die heute blinde Hochschullehrerin für Prozess- und Innovationsmanagement an der Fachhochschule Vorarlberg nicht vergessen hat. Ihre Schwester Belinda hat eine mittlerweile 16-jährige Tochter. Das Aufwachsen einer blinden Mutter mit einem sehenden Kind hat mitunter beide herausgefordert. Eva, die Jüngste, ist die einzige der fünf Schneider-Töchter, die sehen kann. Sie hat, ob des Schicksals ihrer Schwestern, viel an Einfühlungsvermögen für Menschen mit Beeinträchtigungen gewonnen. „Immer wieder seien sie in der Kindheit mit der sehenden Eva als Sherpa im Gänsemarsch unterwegs gewesen“, erinnern sich Belinda und Julia.  

 

Die Grundlage für ein eigenständiges Leben legte bei den vier Sehschwachen das Heilpädagogische Schul- und Beratungszentrum Sonnenberg in Baar im Kanton Zug (CH). Sie seien in sämtlichen Bereichen gefördert und gefordert worden. Das ging weit über die grundlegenden Unterrichtsfächer hinaus und reichte von Theateraufführungen über Chorgesang bis zur Handarbeit. Sogar Reliefs wurden angefertigt, damit die sehschwachen Schüler:innen Berge und Landschaften „begreifen“ konnten.


 

 

„Wir waren im `normalen Kindergarten`, aber da ist schon zutage gekommen, dass wir nicht so gut sehen und da habe ich lieber geschwänzt.“

 

Mag.a (FH) Belinda Schneider

 

Amt der Stadt Dornbirn Abteilung: Familie, Kind und Schule und Psychotherapeutin in der Suchtberatung der Caritas

 


Julia absolvierte nach dem Besuch der Schule in der Schweiz die Handelsakademie in Bregenz und Belinda das BORG Lauterach. Das Miteinander von sehenden Mitschülern sei für sie als Sehschwache herausfordernd gewesen, sowohl bei der Vermittlung des Unterrichtsstoffes in den Schulklassen als auch in den Hörsälen der Hochschulen.

Alle Schneider-Töchter konnten dank ihrer Begabungen studieren und fanden zu einem selbständigen Leben.

 

Trotzdem zeigen sich die Tücken des Alltags etwa bei Haushaltsgeräten, die nur durch TOUCH-Systeme funktionieren oder bei unterschiedlichen Sortimenten in Supermärkten, um zielsicher ein gewünschtes Produkt zu bekommen oder in der Wahlzelle, wenn Personen des Vertrauens notwendig werden, die gewünschte Partei anzukreuzen.


„Es war für mich schon schlimm, dass ich immer alleine war, weil die Schwestern am Sonntagabend in die Schweiz ins Internat bzw. die Schule gefahren sind.“

 

Mag.a (FH) BEd Eva Schneider

 

Berufsschullehrerin an der Landesberufsschule Bregenz 3 für kaufmännische Lehrberufe


Fotos: Reinhard Mohr